Niederembt - Endlich wird auch der schiefe Turm
von Niederembt verschwinden. Noch im Laufe dieses Sommers soll der alte
Kirchturm nach den Plänen des Baumeisters Ross aus Köln und dem Bauunternehmer
Wolff aus Elsdorf zurecht aufgemauert und mit einem neuen Helme versehen
werden.
St. Martinus Kirche 1896 mit altem Turm
Unser Ort wird damit um eine seiner alten Berühmtheiten ärmer,
bekam doch ein Niederembter lange Zeit hindurch draußen in der Fremde zwei
Dinge vorgeworfen, seinen Unglauben an den heimischen Propheten, den hl.
Schiffer, und seinen schiefen Kirchturm. Über jenes ärgerte man sich, und
mit diesem ärgerte man ihn. Nun, was krumm ist, wird ja gerade werden, und
dann bleibt der Ärger ganz den nahen und fernen Nachbarn. Denn wie von zuverlässiger
Seite bekannt geworden gegeben wird, soll der so wetterfeste alte Geselle,
der lange genug sein Kreuz schief trug, noch in seinen alten Tagen eine
Zierde, und jetzt in Stil und Formvollendung ein Wahrzeichen des Dorfes
werden. Ein Bauwerk, so künstlerisch schön, dass es Seinesgleichen suchen
darf in weiterer Umgebung. Aus der Geschichte des alten Turmes: Der breite,
solide Turm in Niederembt steht nicht im richtigen Verhältnis zu der früher
kleinen, schlecht gebauten Kirche.
Augenscheinlich hat man für den Turm, der 16 Jahre
nach der Kirche, 1512 erbaut wurde, viel mehr Geld und Mühe aufgewandt.
Der Grund dieser Erscheinung liegt wohl in der Bedeutung eines hohen, festen
Turmes in damaliger Zeit für ein offenes, schutzloses Dorf. Turm, Kirche
und Kirchhof bildeten dazumal bei ihrer gewöhnlich höheren Lage und den
festen Mauern einen leicht zu verteidigenden Zufluchtsort für die verängstigten
Dorfbewohner.Nicht umsonst und nicht nur für die Glocken bauten die Vorfahren
den Kirchturm so hoch und fest, und Tore und Fassungsmauern rundum. Er war
für das Dorf die Zitadelle. Wie oft liest man in den alten Nachrichten,
daß bei unruhigen Zeiten der Kirchhof besetzt wurde, so in Niederembt im
Dreißigjährigen Kriege von den Schweden, die den Turm als Warte benutzten,
und später von den hessischen Kriegsvölkern.
Aus der Zeit seiner Erbauung berichtet die Sage, dass noch
zwei Kirchtürme in der Nähe von demselben, unbekannten Meister erbaut worden
seien, der eine in Kerpen, der andere in Holtum. Dass ferner ein sehr schlechter
Maurer beim Bau mitgearbeitet habe. Schon stand das Mauerwerk mannshoch
über dem ersten Gewölbe, da sieht der Baumeister eines Tages, dass die südöstliche
Kante auf sechs Fuß eine handbreit über die Senkschnur neigt. Der schlechte,
unachtsame Maurer hatte das verschuldet. Sogleich wird er fort gejagt und
der Fehler, so gut es geht, wird wieder verbessert.Aber zum Spotte und mahnendem
Andenken musste der Steinmetz nach damaliger Sitte zwei Ochsenkörper meißeln,
welche die Gesellen lachend in die Mauer einfugten. Noch heutigen Tages
sieht man an der Südecke über dem Sandsteinrande, wo die Mauer merklich
aus
St. Martinus in Niederembt um 1900
Kirchstraße mit Blick auf St. Martinus um 1900
dem Lote biegt, die Wülste und Stümpfe jener Tierdenksteine.
Eine andere Sage erzählt von einem Maurergeselle, dem der Bau verunglückte.
Ehe er als Neuling aufs hohe Gerüst stieg, ermahnte ihn der Meister doch
ja nicht lange in die Tiefe zu schauen, weil einen anfangs gar leicht schwindle.
Der leichtfertige Bursche aber folgte dem guten Rate des erfahrenen Alten
nicht. "Sieh doch, Meister", ruft er plötzlich, "wie dort auf demBend die
Kühe tanzen."
Schreckensbleich springt dieser hinzu, um den Schwindeligen zu fassen,
doch schon stürzt er kopfüber in die Tiefe und ward tot aufgehoben. Jeder
Besucher des Turmes wundert sich besonders neben den dicken Mauern über
die Menge und Dicke des Holzwerkes, das in der Haube verwendet ist. Wieviel
tausende Mark würde es wohl heute kosten, mit solche einer Unmenge dicker,
eichener Balken, Pfosten, Latten und Brettern einen Turm zu richten. Freilich
hatten es unsere Vorfahren auch billig und besser. Mächtige, hundertjährige
Eichen und Buchen rauschten an den Grenzen ihrer Gemarkung in den herrlichen
Hochwälder des Gemeindewaldes Escher Gewähr, und für öffentliche Bauten
wurde diese zur Auswahl freigegeben.
St. Martinus Kirche wird mit einem neuen Turm versehen
Die Sage, dass der Turmhelm angefault und dann schief gesunken ist, ist
eben eine Sage. Die Neigung der Haube ist von vorne herein beabsichtigt,
denn die Balkenlage der einzelnen Stockwerke ist horizontal und kreuz
und quer stehend für sich senkrecht. Man sah eben in der guten alten Zeit
weniger auf Formschönheit als auf dauerhaft deftige Festigkeit. Drum baute
man ihn schief geneigt gegen die Wucht der Westwinde, denen er auch standhaft
trotzte wie auf luftigem Sitz sein Hahn, der ihnen stets ins Antlitz schaut.
So stand er fertig und fest, der Schutz und Stolz einfältiger Bauersleute,
und wenn später ein Schiefer fiel, wurde er sorgfältig erneuert und die
vollkommene Mauer wurde fertiggestellt.
Viele friedliche, stille Jahre mit religiösen Feiern und Umzügen und fröhlichen
Volksfesten gingen vorüber, wenn in der Ebene weit Frühling und Sommer
blühten. Dann wiederum hallten Schlacht- und Mordgeschrei wilder Kriegerhorden,
und Angst- und Hilferufe drangsalierter Einwohner drangen zum ihm herauf,
wenn der Turmglocke Notruf geltend ins Land hallte und nachts im Widerschein
hell flackernder Rammen beim Brande der Bauerngüter seine Mauern glühten.